Als Roland Tessner 1975 im Alter von 17-einhalb Jahren ins Senator-Neumann-Haus in Bergstedt einzog, gab es in Deutschland kaum Wohnangebote für junge Erwachsene mit Behinderungen. Der Auszug aus dem Elternhaus war eine Entscheidung, die er nie bereut hat. Mit den 50 Jahren, die er nun schon im Senator-Neumann-Haus lebt, verbindet der heute 67-Jährige viele positive Erinnerungen. „Oft bin ich zusammen mit anderen in den Urlaub gefahren, habe Ausflüge an die Ostsee und in die Umgebung gemacht oder Konzerte besucht“, sagt er.
Berufstätig war Roland Tessner ebenfalls – er arbeitete in der Elbe-Werkstatt. „Früher gab es hier zudem eine Schule, in der wir unseren Schulabschluss machen konnten, und sogar eine kleine Handelsschule, in der man einen kaufmännischen Beruf lernen konnte“, berichtet er.
Heute schätzt Roland Tessner es vor allem, dass er auch im Alter an inklusiven kulturellen Angeboten teilnehmen kann, da diese im Haus stattfinden – etwa die Konzertreihe „Grenzenlos“, die das Senator-Neumann-Haus gemeinsam mit der Begegnungsstätte Bergstedt organisiert, oder die Kinoabende des Filmclubs Walddörfer. Darüber hinaus bringt sich der erfahrene Bewohner seit vielen Jahren engagiert in die Gemeinschaft des Senator-Neumann-Hauses ein, zum Beispiel im Wohnbeirat.
Auch die eine oder andere Veränderung hat Roland Tessner in den vergangenen 50 Jahren erlebt. So gab es zur Zeit seines Einzugs noch Vierbettzimmer. Mittlerweile leben die Bewohner*innen überwiegend in Einzelzimmern, die in Wohngruppen organisiert sind. Zusätzlich gibt es einige Appartements. Und aus dem im Stadtteil bekannten Schwimmbad, in dem Roland Tessner selbst noch im Rahmen seiner Therapie geplanscht hat, ist mittlerweile ein offenes Beschäftigungsangebot geworden, in dem die Hausbewohner*innen kreativ sein, musizieren oder Sport machen können.
Umzug auf Empfehlung einer Koryphäe
Roland Tessner wurde in seiner Jugend von einer echten Koryphäe betreut: Dem Neurologen und Kinderarzt Karel Bobath. Zusammen mit seiner Frau, der Physiotherapeutin Berta Bobath, entwickelte dieser das Bobath-Konzept, das bis heute weltweit bei der Behandlung von Menschen mit Bewegungsstörung infolge einer zentralen neurologischen Erkrankung zum Einsatz kommt. Das Konzept, das auch im Therapiezentrum des Sozialkontors angewendet wird, beruht auf der Annahme der „Umorganisationsfähigkeit“ des Gehirns. Das bedeutet, vereinfacht dargestellt, dass bei einer neurologischen Erkrankung gesunde Hirnregionen lernen können, die Aufgaben von erkrankten Hirnregionen auszuführen. In Roland Tessners Fall war es die Empfehlung Karel Bobaths, die seine Eltern davon überzeugte, dass ihr Sohn in der Lage war, selbstbestimmt im Senator-Neumann-Haus zu leben.