Herr Dr. Rosentreter, seit August gibt es den neuen Dualen Bachelor-Studiengang Angewandte Pflegewissenschaft an der Beruflichen Hochschule Hamburg, kurz BHH. Die bisherigen Studiengänge der Hochschule legten den Schwerpunkt auf Wirtschaftswissenschaften und Informatik. Wie kommt es, dass die Pflege jetzt dazugekommen ist?
Grundsätzlich haben alle Studiengänge an der BHH das Ziel, durch die Kombination aus betrieblicher Ausbildung und Studium mehr Abiturient*innen und Fachabiturient*innen, die in Hamburg in diesem Jahr rund 60 Prozent aller Schulabgänger*innen ausmachen, für klassische Ausbildungsberufe zu begeistern. Nachdem wir im Bereich der kaufmännischen und technischen Berufe an kleinen und mittleren Unternehmen sehr erfolgreich gestartet sind, wollen wir nun mit dem neuen Studiengang dazu beitragen, den Pflegeberuf attraktiver zu machen.
Das Pflegestudium an der BHH setzt sich zusammen aus einer praktischen Ausbildung in Unternehmen und Berufsschule sowie theoretischem Studium. Warum ist diese Kombination sinnvoll?
Dieses sogenannte additive Studienmodell bietet drei Lernorte, zwei Abschlüsse – und bildet hochqualifizierte Fachkräfte aus. So machen die Studierenden zunächst eine ganz normale dreijährige Ausbildung zur generalistischen Pflegefachkraft, ergänzt durch einige kompakte Module auf akademischem Niveau an der Hochschule. Nach dem Examen arbeiten sie dann in Teilzeit in ihrem Ausbildungsbetrieb und absolvieren in der anderen Hälfte der Zeit ihr Studium, das sie nach drei Semestern mit dem Bachelor Angewandte Pflegewissenschaft abschließen können.
Welche Vorteile haben Absolvent*innen des Studiengangs, die über die berufsschulische Qualifikation hinausgehen?
Vor allem die Möglichkeit einer engen Verzahnung von Theorie und Praxis ist ein riesiger Vorteil. Denn zum einen verfügen die Absolvent*innen über dieselben praktischen Kenntnisse und Erfahrungen wie ihre berufsschulisch qualifizierten Kolleg*innen, zum anderen haben sie pflegefachliche und wissenschaftliche Kompetenzen erlangt, mit denen sie komplexe Versorgungssituationen meistern können. So sind sie bestens qualifiziert für die praktische Arbeit mit Menschen – und verfügen obendrein noch über pflegewissenschaftliche Kompetenzen.
Können Sie für Letzteres einige Beispiele nennen – also was lernen die Studierenden, was über das Examen hinausgeht?
Sie eignen sich pflegewissenschaftliches Wissen an beziehungsweise die Fähigkeit, aktuelle Studien zu recherchieren und fachlich zu bewerten. Außerdem lernen sie, analytisch zu denken, Handlungen zu planen und Ergebnisse zu antizipieren, erwerben dialektische Fähigkeiten und Verhandlungsgeschick und sie sind in der Lage, Pflegende, andere Berufsgruppen und zu pflegende Personen sowie deren Angehörige zu beraten. Ein sehr wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht auch, dass sie eine berufliche Identität entwickeln und nach außen vertreten. Ein Beispiel: Ich habe selbst viele Jahre in der Pflege gearbeitet und oft den Satz gehört, den wahrscheinlich alle Pflegekräfte kennen: „Pflege – das könnte ich nicht“. Irgendwann habe ich darauf nur noch geantwortet: „Ja, das kann auch nicht jeder.“
Der neue Studiengang hat aktuell zehn Kooperationspartner: sieben Akutkrankenhäuser, zwei Altenhilfe-Träger und das Sozialkontor als einziges Unternehmen der Eingliederungshilfe, das hauptsächlich mit Menschen mit Behinderungen arbeitet. Wie gehen Sie im Rahmen des Studiums auf unseren Schwerpunkt ein?
Wir vertiefen unter anderem die Themen Langzeitpflege und ambulante Pflege und beschäftigen uns mit Versorgungskonzepten, die sehr individuell auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten sind, die wir pflegen – zum Beispiel Menschen mit Behinderung oder Menschen mit psychischer Erkrankung. Was ich außerdem für sehr relevant halte, sind die Finanzierung und die Struktur unseres Gesundheitssystems. Durch die verschiedenen Sozialgesetzbücher sind das ja sehr komplexe Bereiche. Raum für die individuellen Schwerpunkte der Studierenden bietet zudem auch das Modul Forschungspraxis und angewandte Pflegeforschung, das sie – ebenso wie ihre Bachelor-Arbeit – wenn sie möchten, in den Betrieben ansiedeln können.
Insgesamt beginnen zum Wintersemester 150 Duale Studierende an der BHH. Wie viele davon absolvieren das Pflegestudium?
Aktuell haben wir 25 Anmeldungen für den ersten Durchlauf. Selbstverständlich streben wir künftig höhere Studierendenzahlen an, denn der Bedarf an akademisch qualifiziertem Pflegepersonal ist hoch. Wir sind daher auf mehr Studieninteressierte und höhere Anmeldezahlen eingestellt.
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