Mit der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, die am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist, wurde das Betreuungsrecht in Deutschland umfassend neugestaltet. Ziel ist es, im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention die Selbstbestimmung und Autonomie von Menschen mit Unterstützungsbedarf zu stärken. Zentral hierbei ist der Paradigmenwechsel von der Orientierung am „Wohl“ der betreuten Personen hin zu deren „Wunsch und Wille“.
Patricia Albers, Rechtsanwältin in der Hamburger Kanzlei Hohage, May & Partner, über die vielfältigen Herausforderungen und Chancen der Reform:
Die Reform von 2023 war die größte des Betreuungsrechts seit Abschaffung der Entmündigung. Eine der bekanntesten Änderungen: Es gibt den Wohlbegriff nicht mehr. Das heißt, dass die Wünsche des betreuten Menschen entscheidend für das Handeln des Betreuenden sind – unabhängig davon, was aus objektiver Sicht »das Richtige« ist. Selbst wenn sich die betreute Person gefährdet, ist ein Abweichen davon nur zulässig, wenn sie die Gefahr nicht erkennen kann. Denn sie darf, wie jeder andere Mensch auch, Risiken eingehen, zum Beispiel verantwortungslos mit ihrem Geld umgehen. Zwar hat sich auch vor der Reform das »Wohl« an den Wünschen der betreuten Person orientiert. Doch das wurde in der Praxis leider häufig übersehen.
Ein weiterer wichtiger Baustein der Betreuungsrechtsreform ist die Betonung des Grundsatzes der Erforderlichkeit. Demnach darf die betreuende Person nur dann ihr Vertretungsrecht nutzen, wenn es tatsächlich notwendig ist. Denn Betreuung bedeutet nicht Vollversorgung. Sich das immer wieder klarzumachen, ist auch Aufgabe der Menschen, die mit den Betreuten arbeiten – beispielsweise in der Eingliederungshilfe. Das neue Betreuungsrecht hat schon zu vielen Veränderungen geführt. Bis die Reform ihre volle Wirkung entfaltet und im Alltag der Betreuenden und Betreuten ankommt, braucht es aber noch Zeit. Nicht zuletzt benötigen wir eine weitere gesellschaftliche Sensibilisierung. Ich hoffe, dass dadurch Ausdrücke wie »unter einer Betreuung stehen« und »Entmündigung« bald der Vergangenheit angehören.
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