Besseren Zugang schaffen

Was für Barrieren gibt es, welches sind die Bedeutendsten und was muss passieren, um sie abzuschaffen? Interview mit Siegfried Saerberg vom Zentrum für Disability Studies und Teilhabeforschung.


Professor Saerberg, was sind Barrieren?

Zuerst einmal finde ich den Begriff Barrieren problematisch. Ich spreche eher von Zugänglichkeit im Sinne des in der Wissenschaft häufig verwendeten englischen Begriffs »Accessability«. Demnach hat jeder Mensch ein Recht auf ein gutes Leben, Arbeit, Bildung, eine Familie – und es geht darum, auch Menschen mit Einschränkungen Zugang dazu zu ermöglichen. Furchtbar ist auch die Bezeichnung barrierearm – warum sagen wir es nicht positiv, also »einigermaßen gut zugänglich«?

Unter Barrieren werden oft vor allem physische Barrieren wie fehlende Fahrstühle oder Rampen verstanden. Finden Sie das angemessen?

Treppen und andere Hürden schränken den Zugang zu bestimmten Orten für Menschen mit einer Gehbehinderung stark ein. Es gibt aber auch viele andere Hindernisse. Ganz wichtig in der heutigen Zeit ist der Zugang zu Kommunikation, also zu digitalen Dokumenten und dem Internet, aber auch zu Büchern, Briefen und gesprochener Sprache.

Was ist denn nötig, um diesen Zugang zu schaffen?

Das kommt ganz auf die Art der Einschränkung an. Für blinde Menschen sind screenreader-taugliche Dokumente und Webseiten sowie Brailleschrift wichtig, aber auch die Möglichkeit, digitale Dienstleistungen zu nutzen – zum Beispiel, um Theaterkarten zu buchen. Für taube Menschen sind Übersetzungen in Gebärdensprache sinnvoll, bei Lernschwierigkeiten Einfache oder Leichte Sprache. Für Menschen mit seltenen Erkrankungen sind zum Teil sehr spezielle Hilfsmittel oder umfassende persönliche Assistenz erforderlich.

Gibt es auch psychische Barrieren?

Das ist eine Frage der Perspektive. In den Disability Studies beschäftigen wir uns eher mit den gesellschaftlichen Zusammenhängen. Demnach ist nicht der einzelne Mensch das Problem, sondern die soziale und kulturelle Umwelt muss verändert werden.

Wenn Sie eine Barriere per Knopfdruck sofort beseitigen könnten – welche würden Sie aussuchen?

Grundsätzlich möchte ich jede Barriere fallen sehen. Deshalb würde ich wohl am ehesten die Barrieren in den Köpfen der deutschen Politiker wählen. Denn die handeln noch viel zu oft nach dem Prinzip »bloß nicht die Normalgesellschaft überfordern«– zum Beispiel bei der Umsetzung der EU-Richtlinie »European Accessibility Act«, die viel zu langsam voran geht.

Siegfried Saerberg ist wissenschaftlicher Leiter am Zentrum für Disability Studies und Teilhabeforschung (ZeDiSplus). Dieses gehört zur Evangelischen Hochschule fürSoziale Arbeit und Diakonie in Hamburg, mit der das Sozialkontor im Rahmen des Dualen Studiums kooperiert. Der promovierte Soziologe ist außerdem Künstler und hat zahlreiche inklusive Kulturprojekte geleitet.